Das Wort “Polyneuropathie” leitet sich aus dem Griechischen und besagt, dass es sich um eine Erkrankung handelt, bei der mehrere Nerven gleichzeitig betroffen sind. Lediglich bei entzündlichen Ursachen wird von Polyneuritis gesprochen (die Endung “itis” bedeutet immer entzündlicher Prozess).
Der Begriff der Polyneuropathien bezieht sich auf Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Als peripheres Nervensystem fasst man alle Nervenelemente zusammen, die außerhalb der Pia mater (weiche Hirnhaut) liegen und von Schwannzellen begleitet werden. Dazu gehören die Hirnnerven (mit Ausnahme des Nervus opticus, der als einziger Hirnnerv zu den zentralen Strukturen gehört), die spinalen Nervenwurzeln und die Spinalganglionzellen, die Nervenplexus und die Nervenstämme bis zu den terminalen Aufzweigungen, ferner auch das periphere autonome Nervensystem. Nicht zum peripheren Nervensystem rechnet man die Vorderhornzellen und die zentralen Fortsätze der Spinalganglionzellen.
Der Begriff der Polyneuropathie wird als Überbegriff für die Gesamtheit der entzündlichen, degenerativen, metabolischen, iatrogen-medikamentös verursachten, paraneoplastischen, vaskulären und immunologisch bedingten Erkrankungen der peripheren Nerven verwendet.
Es kann aber auch nur ein einzelner peripherer Nerv bzw. eine einzelne periphere Nervenwurzel im Sinne einer Monoradikulopathie betroffen sein.
Polyneuropathien können symmetrisch oder asymmetrisch angeordnet sein. Es gibt rein sensible, rein motorische aber auch gemischte, also sensomotorische Polyneuropathien.
1. Was sind nunmehr die Ursachen von Polyneuropathien?
Die Ursachen für eine Polyneuropathie sind so vielfältig, wie bei kaum einer anderen Erkrankung. Aus diesem Grunde kommt einer soliden Diagnostik eine enorme Bedeutung zu.
In Deutschland stellen der Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und ein übermäßiger Alkoholkonsum sowie die paraneoplastischen Polyneuropathien (Hauptneuropathien im Rahmen von bösartigen Erkrankungen) die häufigsten Ursachen dar.
Jedoch können auch chronische Entzündungen, Hormon- und Stoffwechselstörungen, Mangelernährung, Vergiftungen und Medikamentennebenwirkungen zu Polyneuropathien führen.
Insbesondere den Vitaminmangelpolyneuorpathien kommt eine entscheidende Bedeutung zu. In meiner Praxis führe ich im Rahmen der sog. orthomolekularen Medizin große Vitaminanalysen durch und substituiere dann meine Patienten gezielt mit den Mineralstoffen, Vitaminen und Bioflavonoiden, die ihnen fehlen.
Auch Malabsorptionssyndrome spielen eine gewisse Rolle. Unserem Darm kommt eine große Bedeutung bei der Resorption der durch die Nahrung aufgenommenen Spurenelemente und Vitamine zu. Viele Patienten jedoch leiden unter intestinalen Beschwerden, die mit pathologischen Resorptionsmechanismen einhergehen, d.h., dass z.B. Dünndarmerkrankungen vorliegen, die eine regelrechte Aufnahme der mit der Nahrung gewonnenen Mikronährstoffe in die Blutbahn nicht ermöglichen.
Im Rahmen einer Darmsanierungsmaßnahme führen wir eine fundierte naturheilkundliche Diagnostik in Stuhl und Blut durch, die Aufschlüsse über Malabsorptionssyndrome gibt.
Vaskulären Formen von Polyneuropathien kommt eine Bedeutung zu, die ebenfalls einer umfassenden Diagnostik bedürfen. Seltenere Erkrankungen, wie ein Lupus erythematodes oder eine Wegenersche granulomatosis werden, wenn man daran denkt, gar nicht mehr so selten diagnostiziert.
Aber auch eine primär chronische Polyarthritis, Gicht, Fettstoffwechselstörungen, bösartige Erkrankungen, eine Sarkoidose, endokrinologische Störungen können die Ursache für polyneuropathische Erkrankungen sein.
Hier gilt vor allem, man muss an alle möglichen Ursachen im Sinne eines Stufenprogramms und einer systematischen Ausschlussdiagnostik denken. Eine weitere diagnostische Möglichkeit besteht im Vorliegen sog. hereditären Neuropathien, d.h. den vererbbaren Formen.
2. Worüber klagen Betroffene am häufigsten, die an einer Polyneuropathie erkrankt sind?
Meistens beginnen Polyneuropathien schleichend mit Kribbeldysästhesien und einem Taubheitsgefühl an den Füßen, späterhin jedoch auch an den Händen. Die Gefühlsstörungen entwickeln sich von peripher nach zentral und steigen rumpfwärts auf. Späterhin kommen Muskelsymptome im Sinne von Lähmungserscheinungen hinzu.
Oftmals klagen Betroffene auch über brennende Schmerzen, so dass sie z.B. des Nachts die Bettdecke auf den Füßen nicht ertragen können. Im Verlaufe der Erkrankung nehmen die Gefühlsstörungen und Lähmungserscheinungen zu.
Es gibt auch Formen, bei denen sich innerhalb weniger Tage eine schwere Lähmung bis hin zur Atemlähmung ausbildet. Diese Formen sind lebensbedrohlich.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass Nerven mitbetroffen sind, die die inneren Organe versorgen, so dass es dann zu Kollapsneigung, Völlegefühl, Durchfällen, Verstopfungen, Störung der Harnentleerung und Erektionsstörungen kommt, bei der sog. autonomen Polyneuropathie. Dies ist nicht ungewöhnlich beim langjährigen Diabetes. Diabetiker klagen oftmals über solche vegetative Symptome.
3. Wie stellt der Neurologe die Diagnose einer Polyneuropathie?
Bei der komplexen neurologischen Untersuchung (siehe dort), finden sich oftmals abgeschwächte oder fehlende Muskeleigenreflexe (oftmals fallen zuerst die Arsaraflexe aus) und eine distale Hypästhesie oder Pallanästhesie, d.h. beim Prüfen des Vibrationsempfindens mit der Stimmgabel lässt diese vorzeitig nach oder wird überhaupt nicht mehr empfunden.
Es bestehen trophische Störungen an der Haut, die sich in einer Hypotrichose, d.h. einer Abnahme der Beharrung an den Unterschenkeln oder aber auch in brüchigen Nägeln und einer trockenen Haut zeigen. Muskeln atrophieren und es kommen Schmerzen hinzu.
Eine entscheidende Bedeutung jedoch hat die Elektrophysiologie mit der motorischen und sensiblen Neurographie und dem sensibel antidromol neurographischen Messungen sowie der Elektromyographie.
Oftmals allerdings sind weitere Untersuchungen notwendig, wenn die Ursache nicht rasch genug geklärt werden kann. Hier ist ein Stufenprogramm erforderlich. Es können auch umweltmedizinische, toxikologische oder molekularmedizinische Untersuchungen notwendig sein. Dies allerdings ist eher seltener der Fall.
Es kommt auch vor, dass die Ursache trotz intensivster Suche nicht gefunden werden kann. Dann ergibt sich die Notwendigkeit einer engmaschigen Verlaufskontrolle.
4. Behandlung von Polyneuropathien
Polyneuropathien sind also oftmals symptomatische Erkrankungen, als Symptomträger von zugrundeliegenden internistischen Erkrankungen. Das heißt, dass die zu Grunde liegende internistische Erkrankung behandelt werden muss. Dies bedeutet beim Diabetiker eine Optimierung der Einstellung des Blutzuckers, bei bakteriell ausgelösten Polyneuopathien könnte eine antibiotische Therapie von Nöten sein. Bei Dünndarmerkrankungen, Malabsorptionssyndromen, Mangelerkrankungen ist eine orthomolekulare Therapie sinnvoll (dies kommt öfter vor als wir glauben, durch unsere doch nicht mehr gesunde Ernährung).
Man bedenke auch, dass das Colonkarzinom eines der häufigsten Karzinome ist und auf der Grundlage von chronischen entzündlichen Veränderungen der Darmschleimhaut mit entsteht (siehe Kapitel Darmsanierung).
Bei äthyltoxisch bedingter Polyneuropathie, d.h. durch Alkoholismus bedingter Polyneuropathie, liegt es nahe, dass der Patient komplett auf Alkohol verzichten muss.
Treten polyneuropathisch bedingte Drucklähmungen auf, muss selbstverständlich der oberflächlich liegende Nerv vor Druck geschützt werden. Dies betrifft insbesondere den Ulnarisnerven im Ellenbogenbereich und den Peronaeusnerven am Wadenbeinköpfchen.
Symptomatisch können Polyneuropathien durch eine Reihe von Medikamenten behandelt werden, die u.a. auch zur Behandlung von Epilepsien eingesetzt werden. Auch bestimmte Antidepressiva werden empfohlen. Allerdings haben alle diese Medikamente auch Nebenwirkungen.
In früherer Zeit wandte man insbesondere die Substanz Carbamazepin an; inzwischen gibt es modernere Medikamente, die z.T. auch recht neu auf den Markt gekommen sind und mit denen auch ich schon sehr gute Erfahrungen sammeln konnte.
Die symptomatische Behandlung von polyneuropathischen Beschwerden ist auch ein großes Indikationsgebiet für die Traditionell Chinesische Medizin. Hier hilft Akupunktur und die chinesische Arzneimittelmedizin sehr gut weiter.
Die intravenöse Gabe von Thioctsäure hat einen hervorragenden günstigen Effekt auf neuropathische Beschwerden bei diabetischer Polyneuropathie.
Dies war über viele Jahrzehnte die Therapie der Wahl und wurde von allen Krankenkassen ohne Probleme bezahlt. Seit der Gesundheitsreform gehört dies der Vergangenheit an. Ich empfehle dennoch meinen Patienten sich dieser Therapie zu unterziehen, da die Behandlungsergebnisse für sich sprechen.
5. Was kann Betroffene neben den nunmehr schon erwähnten Maßnahmen selbst tun?
Der Betroffene kann insbesondere alles tun, um insbesondere an den Füßen seinen trophischen Störungen durch hartnäckige Pflege zu begegnen.
Hierzu gehört, dass die Füße nicht zu stark entfettet werden sollten. Seifenlose Waschlotionen anstelle von Seife sollten verwendet werden. Nach dem Baden müssen die Füße und die Zehenzwischenräume gut abgetrocknet und nachgefettet werden. Die Nägel sollten regelmäßig gefeilt und nicht geschnitten werden. Hühneraugen und Hornhaut sind mit Bimstein zu behandeln. Dieser ist regelmäßig wegen der Gefahr einer Pilsbesiedelung zu erneuern. Eine tägliche, halbstündliche Fußgymnastik ist sinnvoll.
Schuhe sollten abends gekauft werden, wenn die Füße ohnehin am dicksten und geschwollen sind. Schuhe sollten prinzipiell bequem sein.
Auf jegliche schlechtheilende Wunden sollte der Patient besonders gut achten und gegebenenfalls sich sofort in ärztliche Behandlung begeben.
Druckgeschwüre an Knochenvorsprüngen wie Fersen, Knöcheln, Hüften, etc. sollten durch Abpolstern und regelmäßiges Umlagern sowie eine lokale Hautpflege vermindert werden.
Oftmals kann auch Elektrotherapie helfen.
Die orthomolokulare Medizin, d.h. die gezielte Substitution von Mikronährstoffen, sollte einen großen Raum in der Polyneuropathiebehandlung einnehmen. Leider zahlen auch hier die Krankenkassen oftmals nicht.
Weitere Informationen erhalten Sie in der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke (DGM) e.V., Im Moos 4, 79112 Freiburg, Telefon: 07665 94470, www.dgm.org